Vom Hirtenmesser zum Kultobjekt

Alles begann 1829 in dem kleinen Ort Laguiole (sprich „Layoll“), im Aveyron im Süden der Auvergne. Ein 16 jähriger Schmied, namens Pierre-Jean Calmels erfindet ein Messer, das sich bis heute noch mit seiner schlanken, edlen Form großer Beliebtheit erfreut - das LAGUIOLE.

Inspirieren ließ sich Calmels von der Klingenform des katalanischen „Navaja“, welches die Händler von ihren Reisen mitbrachten und dem „Capouchadou“, einem kleinen Dolch, wie ihn die Bauern und Hirten des Aubrac am Gürtel trugen.

Das Bahnbrechende an seiner Erfindung ist der Klapp- oder Faltmechanismus. Mittels einer Federkonstruktion wird die Klinge sowohl im geöffneten, als auch in geschlossenem Zustand arretiert. Das Taschenmesser in seiner heutigen Form war damit geboren.

Das erste und ursprüngliche LAGUIOLE war ein Einteiler, ein „une pièce“. Ein Messer nur mit einer Klinge und Griffschalen aus dem Horn heimischer Wildrinder, Knochen oder dem extrem harten Holz des einheimischen Buchsbaums. Später fügte Calmels dem Messer noch einen Dorn hinzu, das „deux pièces“ war geboren. Die Fuhrleute brauchten ihn seinerzeit zur Reparatur des Lederzeugs ihrer Pferde und die Rinder- und Schafzüchter benötigten ihn zum Anstechen des Pansens ihrer Tiere bei Koliken. Das „trois pièces“, der Dreiteiler, mit Korkenzieher und Dorn wurde erst wesentlich später gefertigt.

Ein sehr schönes Detail, das für die tiefe Religiosität der Menschen in dieser abgeschiedenen Region der Auvergne steht, ist das typische Kreuz auf dem Griff. Das lange Ende zeigt zur Klinge. Auf dem einsamen Hochplateau des Aubrac steckten die Hirten abends das Messer vor sich in den Boden und hatten so einen kleinen Altar, vor dem sie beten konnten. Auch der Kranz von kleinen Nägelchen um den mittleren „Clou“, den man auf den Griffen einiger LAGUIOLES findet, ist ein altes christliches Symbol, welches den Rosenkranz symbolisiert.

Das wohl populärste Merkmal eines LAGUIOLES ist die Biene oder Fliege auf dem Ressort. Noch heute wird darüber gestritten, was es nun ist. Die einen sagen, es ist eine Fliege, weil die Kühe auf den Weiden des Aubrac immer von Fliegen umschwirrt wurden. Die anderen meinen, es handelt sich um eine Biene, das alte napoleonische Wappentier. Genau lässt es sich nicht belegen. Fest steht, dass Fliege (oder Biene) erst dann durchgängig ihren Platz auf dem LAGUIOLE gefunden hatte, als das Messer schon zum Serienprodukt geworden war.

Auf alten, handgemachten LAGUIOLES findet man alle erdenklichen Motive wie Weinreben, Stierköpfe, Kleeblätter etc. Und auch die Jakobsmuschel. Denn Laguiole liegt auf dem Jakobsweg. Pilger, die auf ihrer Reise durch Laguiole kamen, kauften dort gerne ein LAGUIOLE, welches das Wappen ihres Reiseziels trug, die Coquille St. Jaques von Santiago de Compostela.

Über die Jahrhunderte hat sich das LAGUIOLE vom ursprünglichen Hirtenmesser zu einem begehrten Sammler- und Kultobjekt entwickelt und ist zu einem „Muss“ für jeden Freund des „savoir vivre“ geworden!

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